Gastbeitrag von Dr. Felix Buchmann
Zum „Autoreply“-Urteil des BGH vom 15.12.2015 – I ZR 134/15
I. Entwicklung der Rechtsprechung zum E-Mail Marketing
Die Rechtsprechung beschäftigt sich nicht erst seit der rasanten Entwicklung des Internets mit der Frage, wie Dritte angesprochen werden dürfen. Mit dem durch entsprechende technische Neuerungen erhöhten Aufkommen von Werbung hat sich die Rechtsprechung zur unverlangten Ansprache von Verbrauchern stetig entwickelt. Zunächst war fraglich, ob Briefwerbung das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Empfängers verletze, in der Folge ob sich der Inhaber eines Briefkastens gegen den Einwurf von Werbung durch einen entsprechenden Hinweis wehren kann, was der BGH bejahte. Zwar sei grundsätzlich der Einwurf von Handzetteln in einen Briefkasten nicht zu beanstanden, denn Handzettel seien auf den ersten Blick zu erkennen und könnten ohne Weiteres ausgesondert werden. Gebe der Inhaber des Briefkastens aber ausdrücklich zu erkennen, dass er Werbematerial nicht wünsche, sei dies anders. Das Selbstbestimmungsinteresse sei hier stärker zu bewerten als das Interesse des Unternehmers daran, Werbung zu treiben. Neben dem Anspruch aus den §§ 1004, 903, 862 BGB stehe dem auch der Anspruch aus § 1004 BGB zu, insbesondere wenn es dem Betroffenen nicht um seine Abwehrrechte aus Eigentum und Besitz gehe, sondern um die Konfrontation mit Suggestivwerbung, der er entgehen wolle. Diese Rechtsprechung wurde schließlich auch auf die Werbung per Fax ausgeweitet.
Noch nicht höchstrichterlich entschieden war bislang die Frage, wie automatisiert versandte Antwort-E-Mails zu behandeln sind, die nur verschickt werden, wenn sich ein Verbraucher an einen Unternehmer wendet und wenn diese E-Mail neben der Eingangsbestätigung auch noch weitere Informationen enthält. Die Besonderheit liegt darin, dass diese E-Mails grundsätzlich vom Empfänger gewollt sind.
II. Die Entscheidung des BGH zum Autoresponder
Der BGH hatte folgenden Fall zu beurteilen: Ein Verbraucher kündigte am 10.11.2013 eine Versicherung per E-Mail mit der Bitte um Bestätigung. Daraufhin versandte die Versicherung eine automatisierte Eingangsbestätigung per E-Mail unter dem Betreff „Automatische Antwort auf Ihre Mail (…)“. Neben der Eingangsbestätigung enthielt die E-Mail noch kurze Hinweise zu einem „kostenlosen Service“, nämlich einer Unwetter-App. Am folgenden Tag rügte der Verbraucher die in der Mail enthaltene Werbung. Er erhielt daraufhin erneut die gleiche Eingangsbestätigung per E-Mail, ebenso auf seine weitere Sachstandsanfrage eine Woche später.
Der BGH bejahte einen Unterlassungsanspruch aus den §§ 1004 Abs. 1 S. 2; 823 Abs. 1 BGB wegen der automatisierten E-Mails vom „10., 11. und 19.11.“. Dabei stellte der BGH in Übereinstimmung mit der bisherigen Rechtsprechung klar, dass es sich auch bei nur kurzen Hinweisen zu einer kostenlosen Leistung um Werbung handle. „Werbung“ umfasse auch die mittelbare Absatzwerbung und damit den Hinweis auf weitere – auch kostenfreie – Leistungen.
Die Eingangsbestätigung selbst sei allerdings nicht als Werbung zu qualifizieren, was aber nicht bedeute, dass dieses (erlaubte) Vehikel benutzt werden könne, um (nicht erlaubte) Werbung zu betreiben.
In der Kontaktaufnahme selbst, die als solche nicht ehrverletzend sei, könne grundsätzlich nur dann eine Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gesehen werden, wenn sie gegen den eindeutig erklärten Willen des Betroffenen erfolgt. Die vom Unternehmen automatisch versendete (Antwort-) E-Mail stelle, nachdem der Empfänger seinen entgegenstehenden Willen in den Erhalt von Werbung eindeutig erklärt habe, wegen der darin enthaltenen Werbung einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht dar. Dabei könne es dahinstehen, ob aufgrund Art. 13 Abs. 1 der Datenschutzrichtlinie eine richtlinienkonforme Auslegung dahingehend zu erfolgen habe, dass die Zusendung einer E-Mail stets einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht darstelle. Denn jedenfalls mit der dritten E-Mail habe das Unternehmen gegen den ausdrücklich erklärten Willen des Verbrauchers gehandelt.
Der Grundrechtseingriff sei auch rechtswidrig erfolgt, da im Rahmen einer Abwägung der widerstreitenden Interessen das Interesse des Verbrauchers überwiege. Zwar beeinträchtige die Werbung die Interessen des Verbrauchers nur im geringen Maße, weil er sie unschwer als solche erkennen könne, gleichwohl müsse er sie gedanklich von dem Teil der Nachricht trennen, der für ihn von Interesse sei, was je nach Gestaltung einen unterschiedlich großen Aufwand erfordere.
Zudem sei mit Blick auf die billige, schnelle und durch Automatisierungsmöglichkeit arbeitssparende Versendungsmöglichkeit mit einem Umsichgreifen dieser Werbeart zu rechnen.
Der BGH stützt seine Entscheidung auf die §§ 1004 Abs. 1 S. 2 analog, § 823 Abs. 1 BGB in Verbindung mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, das durch die Werbung verletzt worden sei. Zwar berühre die Werbung den Empfänger nur geringfügig, dennoch sei ein gedankliches Trennen zwischen Inhalt und Werbung erforderlich. Schließlich ergänzt der BGH die Argumentation um das Argument „wenn das jeder machen würde“. Entscheidend ist für den BGH aber, dass der Empfänger den Erhalt von Werbung ausdrücklich abgelehnt hat. Dies widerspricht allerdings dem Tenor der Entscheidung, wonach auch schon die erste E-Mail mit werblichem Inhalt (zu diesem Zeitpunkt bestand keine ausdrückliche Ablehnung in den Erhalt von Werbung, aber der ausdrückliche Wunsch einer Eingangsbestätigung) rechtswidrig sei. Das ist in sich nicht ganz konsistent, daraus folgt aber die Frage, ob der BGH davon ausgeht, dass auch in einer ausdrücklich verlangten E-Mail neben dem erwarteten Inhalt Werbung nicht enthalten sein darf.
III. Praxisfolgen: Kaum überschaubar
Die Entscheidung des BGH hinterlässt mehr Fragezeichen als Rechtssicherheit. Das Argument „wenn das jeder machen würde“ ist keines, im Übrigen bleibt unklar, inwieweit der BGH eine Grundsatz- oder eine Einzelfallentscheidung getroffen hat. Nicht bedacht hat der BGH sicherlich die Online-Händler, die z.B. wegen § 312i Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BGB verpflichtet sind, den Eingang einer Bestellung im Online-Shop unverzüglich per E-Mail zu bestätigen. Zwar ist diese E-Mail auch nach der jetzt geäußerten Ansicht des BGH grundsätzlich zulässig, jedoch darf der Shopbetreiber dieser E-Mail keine unverlangte Werbung beifügen. Zwar mag ihm § 7 Abs. 3 UWG grundsätzlich helfen, aber dieses (ohnehin nur unterstellte) Einverständnis kann der Empfänger jederzeit widerrufen. Unklar bleibt auch, wie weit der BGH den Begriff der Werbung verstanden haben will. Wenn in Übereinstimmung mit der Richtlinie über vergleichende und irreführende Werbung ein weiter Maßstab angelegt werden soll, bedeutet dies, dass auch ein einfaches Impressum mit E-Mail Adresse und Link zur Webseite verbotene Werbung ist?
Die Entscheidung des BGH ist gedanklich zurückgewandt. E-Mail und Internet sind nicht Postwurfwerbung und Briefkasten, und auch kein ausgedrucktes Fax. Die Abgrenzung zwischen (gewollter) Information und (ungewollter) Werbung gelingt bei einer E-Mail im wahrsten Sinne des Wortes in einem Augenblick, ohne Papiermüll und Blockade des Faxanschlusses. Das kann jedem Verbraucher zugemutet werden, wenn er – wie hier – mit dem Erhalt der E-Mail als solcher sogar einverstanden ist. Dies gilt insbesondere, weil er solche E-Mails, in denen er nur eine Bestätigung des Eingangs einer Anfrage erwartet, in der Regel ohnehin nicht öffnen wird, wenn bereits aus dem Header offensichtlich ist, dass es sich nicht um eine personalisierte, sondern um eine automatisiert versandte Standard-E-Mail handelt.
Die Versender von E-Mails sollten vorsichtshalber künftig auf Werbung in automatisiert verschickten E-Mail verzichten, wenn nicht eine vorherige ausdrückliche Einwilligung des Empfängers vorliegt. Sonst drohen Abmahnungen.